Optische Aktivität

Moleküle mit einem asymmetrischen C-Atom kommen in zwei Isomeren vor, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten. Diese Moleküle sind nicht deckungsgleich. Sie heißen Enantiomere (z.B. L-Glycerinaldehyd und D-Glycerinaldehyd oder L-Milchsäure). Enantiomere unterschieden sich nicht in vielen ihrer Eigenschaften wie beispielsweise Schmelztemperatur, Siedetemperatur, Dichte, Brechungsindex, Farbe, Löslichkeit usw. Sie verhalten sich aber unterschiedlich gegenüber linear polarisiertem Licht.

Licht kann als Welle aufgefasst werden, deren Schwingungsrichtung senkrecht zur Ausbreitungsrichtung steht. Schwingungs- und Ausbreitungsrichtung spannen eine Ebene auf, die Schwingungsebene.

Bei natürlichem Licht kommen alle möglichen Schwingungsebenen vor, d.h. es schwingt in allen Richtungen des Raumes senkrecht zur Ausbreitungsrichtung. Licht, das nur in einer Richtung schwingt, nennt man linear polarisiertes Licht. Es gibt nun lichtdurchlässige Substanzen, die aufgrund ihrer Struktur nur Licht in einer einzigen Schwingungsebene hindurchlassen. Sie wirken daher auf natürliches Licht wie ein Filter, der aus allen möglichen Schwingungsebenen eine bevorzugt und alle anderen ausfiltert. Solche „Filter“ nennt man Polarisationsfilter oder kurz Polarisator.

Geht polarisiertes Licht durch ein zweites Polarisationsfilter (genannt Analysator), so wird der Lichtstrahl dieses nur passieren können, falls Polarisator und Analysator die gleiche Schwingungsebene bevorzugen. Durch eine Drehung des Analysators senkrecht zur Ausbreitungsrichtung des Lichtes läßt sich dies erreichen. Schließen jedoch die Vorzugsebenen von Polarisator und Analysator einen Winkel von 90o ein, so wird der Lichtstrahl völlig ausgelöscht.

Stoffe, welche die Schwingungsebene von polarisiertem Licht drehen können, heißen optisch aktive Stoffe. Geräte zur Messung dieses Drehwinkels heißen Polarimeter.

Enantiomere drehen die Schwingungsebene des linear polarisierten Lichts um den gleichen Betrag (Winkel), aber in entgegengesetzter Richtung. Man spricht dabei von einer Rechtsdrehung, wenn die Polarisationsebene, gegen die Ausbreitungsrichtung des Lichtes gesehen, im Uhrzeigersinn gedreht wird. Eine Linksdrehung ist daher eine Drehung im Gegenuhrzeigersinn.

Rechtsdrehende Stoffe kennzeichnet man mit dem Zeichen (+) und linksdrehende mit dem Zeichen (-). [z.B. (+)-Milchsäure), D(-)-Milchsäure]. Die Drehrichtung eines Stoffes muß experimentell ermittelt werden und kann nicht aus der „D- oder L-From“ des Moleküls abgeleitet werden. D-Fructose dreht die Polarisationsebene nach links, D-Glucose nach rechts. Ein äquimolekulares Gemisch der links- und rechtsdrehenden Form eines Stoffes dreht die Polarisationsebene nicht, es ist optisch inaktiv und heißt Razemat [gekennzeichnet durch das Zeichen (±)].

Der Drehwinkel a hängt ab von:

      }
a ~ b
a ~ l   ---> a = asp .b .l  asp ist Proportionalit¨atsfaktor

Der spezifische Drehwinkel errechnet sich somit wie folgt:

  |------a--|
|asp = b-.l
-----------

 

Beispiel:
asp15
D bedeutet, daß der spezifische Drehwinkel der optisch aktiven Substanz bei 15oC gemessen wurde und daß man dabei das Licht einer Natriumdampflampe, D-Linie verwendet hat. asp hat die Dimension Grad.ml
--g.dm-

a-D-Glucose und b-D-Glucose unterscheiden sich nur durch die Stellung der Hydroxylgruppe am anomeren C-Atom (ehemaliges Carbonyl-Kohlenstoffatom des kettenförmigen Glucosemoleküls).

Löst man beide Anomeren getrennt in Wasser, so werden die angegebenen Drehwinkel nur anfangs gemessen. Der Drehwinkel von b-D-Glucose wird allmählich immer größer, der von a-D-Glucose immer kleiner, bis jeweils der spezifische Enddrehwinkel von a = 54,7o erreicht ist. Diese Erscheinung der ständigen Änderung des Drehwinkels bis zum Erreichen eines Enddrehwertes nennt man Mutarotation. Ursache ist die Einstellung eines Gleichgewichts, bei dem sich ringförmige b-D-Glucose über die Kettenform in die ringförmige a-D-Glucose umwandelt und umgekehrt. Im Gleichgewicht sind  ~~ 62% b-D-Glucose,  ~~ 0,2% kettenförmige D-Glucose und  ~~ 38% a-D-Glucose. Daraus ergibt sich:

 

 

1.1 Enantiomere

(D-Glucose ==> OH-Gruppe rechts)

Anomere sind solche Isomere, die sich nur durch die Stellung der Hydroxylgruppe am anomeren C-Atom unterscheiden. (C1 ==> wo die neue OH-Gruppe gebildet wurde!)

Wenn in der HAWORTH-Darstellung beide OH-Gruppen auf der gleichen Seite der Sechseck-Ebene liegen, dann handelt es sich um a-Glucose. b-Glucose ist es, wenn sie auf verschiedenen Seiten liegen.

Vorkommen:
Einstellen eines chemischen Gleichgewichts zwischen zwei Anomeren. Die offene Kettenform tritt nur in sehr geringer Konzentration auf ( ~~ 0,2/vom pH-Wert abhängig (alkalischer Bereich ==> mehr Kettenform; saurer Bereich ==> fast nur Ringform). Tollens klärte diesen Widerspruch auf! Er wusste, daß Aldehyde mit Alkoholen zu Halbacetalen reagieren:

Er hat daher angenommen, daß die Aldehydgruppe der Glucose mit einer OH-Gruppe der Glucose reagiert und ein ringförmiges Halbacetal entsteht. Bei Glucose ist dies die OH-Gruppe am 5. C-Atom. Der Wasserstoff dieser OH-Gruppe wandert zum Sauerstoffatom der Aldehydgruppe. Am C-Atom 1 entsteht eine neue OH-Gruppe (Acetalhydroxyl).

1.2 Einstellung des Gleichgewichts bei Glucose

In wässriger (neutraler) Lösung steht die Kettenform und Ringform der Glucose in einem Gleichgewicht, das zu 99,8 % bei der Ringform liegt und zu 0,2 % bei der Kettenform.

                                         99,8%
In neutraler L¨osung:  Kettenform  der Glucose ------>  Ringform der Glucose
In saurer L¨osung:   Das Gleichgewicht verschiebt sich zu Gunsten der Ringform.
In alkalischer L¨osung: Das Gleichgewicht verschiebt sich zu Gunsten der Kettenform.
In fester Form:       Glucose liegt in Ringform vor.

1.2.1 Erklärung des widersprüchlichen Verhaltens von Glucose beim Nachweis der Aldehydgruppe

  1. Fehlinglösung und ammoniakalische AgNO3-Lösung sind stark alkalisch. Glucose kommt deutlich mehr als in neutraler Lösung in Kettenform vor. Der Nachweis der Aldehydgruppe gelingt daher.
  2. Fuchsinschweflige Säure (=Schiffsreagenz) verschiebt das Gleichgewicht fast ausschließlich zur Ringform. Daher erfolgt keine Rotfärbung.